Psychoanalyse der Lebensbewegungen

Peter Geissler, Günter Heisterkamp: Psychoanalyse der Lebensbewegungen. Zum körperlichen Geschehen in der psychoanalytischen Therapie. Ein Lehrbuch.
Springer, Wien, New York, 2007., ISBN: 978-3-211-48608-5

Körperpsychotherapien haben ihre eigene Tradition in der Geschichte der Psychotherapien. Ab der 20-er Jahre des vorigen Jahrhunderts begonnen Ferenczi und Reich – als erste in der Psychoanalyse – körperorientierte Interventionen verwenden und spaeter, ab der 30-er Jahre
entwickelt sich ein einzigartiges psychotherapeutisches Trend. Die Autoren und MitautorInnen sind ebenso Pioniere des Trends gepraegt von Wilhelm Reich’s und Sándor Ferenczi’s Namen in der Geschichte der Psychoanalyse. Gab es aber kaum eine umfassende und systematisierende Bemühung um die wissenschaftliche Bewertung der Körperpsychotherapien. Dieses Buch würde von den Autoren – mit grosser Wahrscheinlichkeit – so vorgestellt: „…theoretische Begründung des körperlichen Geschehens und seine praxisorientierte Darstellung in den psychoanalytischen Therapien.“

Peter Geissler kommt ursprünglich als Vertreter der Bioenergetischen Analyse zur Psychoanalyse rüber und bald wird er einer der führenden und sehr aktiven Persönlichkeiten der Therapeuten im deutschsprachigen Raum. Er versucht immer und immer die Integration der Körperpsychotherapie und der Psychoanalyse. Der Psychoanalytiker Adlerianischer Praegung Günter Heisterkamp kam mit enormen Erfahrungen auf das Gebiet der Bioenergetischen Analyse. Nach einer gewissen Zeit in Ihrer Zusammenarbeit kam heraus, dass der eine nicht mehr nur als Körperpsychotherapeut, der andere nicht mehr nur als Psychoanalytiker denkt und handelt. Die Kreuzung Ihre Fachtaetigkeit (Körperpsychotherapie und Psychoanalyse) hat das Werk ausgeschmiedet, das von Kritikern, wie Armin Krüger (selbst Psychoanalytiker, analytischer Körperpsychotherapeut) als Opus Magnum der analytischen Körperpsychotherapie anerkannt wurde.
Rückblickend auf der Geschichte der Psychoanalyse kann man ruhig feststellen, dass es keine bedeutende antithetische Strömung gibt, und ausser so einem charismatischen Figur, wie z.B. Perls getrauten sich die Psychoanalytiker kaum eine eigene Richtung aufzumachen.

Ich halte das Thema des Buches sehr aktuell und wissenschaftlich Zeitmaessig, da eben Heute, wann Psychoanalyse wieder innovativ und forschungsfördernd, sogar wissenschaftsrevolutionaer wirkt, waere es leichter die analytische Körperpsychotherapie zur
Psychoanalyse naeher bringen, wie es die beide Autoren auch tun. Naehmen wir nur an: es ist eine sehr komplizierte Aufgabe dies zu verwirklichen, dass waehrend sie Anerkennung und Fachangehörigkeit für das Novum (das leider viele konservative Köpfe nur Netzbeschmutzung halten) suchen, gleichzeitig sollen sie es jegliche Widersetzlichkeit vermeidend tun. Hoffentlich existieren vielleicht die hohen Mauern nicht, die die Vertreter der psychoanalytischen Orthodoxie zwischen Psychoanalyse und Körperpsychotherapie auszumachen glauben.

Nach unseren Angaben sind immer mehr KollegInnen in der Psychoanalyse multimodal taetig, weil sie folglich Ihrer Weiterbildung schon in „Gestalt“, in Psychodrama“, in „Körper“, oder in „Somato-Psychotherapie“ gut begründet zu Hause sind. Die praktische Erfahrungen zeigen meist daran, dass immer mehr KollegInnen die zum Reich und Ferenczi rückführende Saetze der analytischen Körperpsychotherapie enteignen und viele Therapeuten verwenden in Ihrer Methodologie die feine Harmonisierung von Körper, Geist und Gefühle.

Das Buch stellt auch eine zentrale Frage der Körperpsychotherapie in Sicht, die sich mit dem Begriff der „Energie“ beschaeftigt. Zur exakten Darstellung des Begriffs kam z.Z. die Theorie von D. Boadella am Naehersten. Der am meisten von der „Psychoanalyse als strukturelle Macht“ unverstandene Begriff ist der der „Energie“, obwohl sich Freud immer wieder mit diesem Begriff auseinandersetzte (vgl.: Maaz, H.-J., Krüger, A. H., Integration des Körpers in die analytische Psychotherapie. Materialien zur analytischen Körperpsychotherapie. Pabst Science Publishers, Lengerich, 2001, S. 77). Der Energiebegriff kann verschieden – wie auch in diesem Buch – dargestellt werden: verschwiemelt, negiert oder pseudowissenschaftlich formuliert, sogar mit so einer merkwürdigen Wortkonstruktion, wie „unmittelbare Affektinduktion“.

Da es hier um ein Lehrbuch geht, behandeln die Herausgeber den Energiebegriff verstaendlicherweise sehr vorsichtig. Sie haben z.B. die wichtigen ÜbertragungsGegenübertragungs-Dynamik bewertet und konsequent nicht als eine Gefühls- und Energiedynamik dargestellt. Es ist wie gesetzmaessig, dass in einer wissenschaftlich gut begründeten Psychotherapie entwicklungspsychologisch bedeutende relevante Konzepte ihre Stelle haben und dadurch wichtige Rolle spielen. In diesem Werk ist es besonders betont. D. Stern ist mehrmals erwaehnt und zitiert, wir stossen in verschiedenen Zusammenhaengen genauso auf den RIGBegriff (representations of interactions that have been generalized) wie auf andere relevante Definitionen von Ihm.

Die reichianische Techniken sind so auch die Methoden der analytischen Körperpsychotherapie und diese Feststellung kann man auch in der Theorie von D. Stern – fundiert auf seine Sauglingsforschung – konzeptualisieren (Stern, 1985), weil diese Methoden die Kernself und die sich entfaltende Selffühlung in die Psychotherapien einziehen. Die Werke von D. Stern die die reale innere Welt der Neugeborenen erforschen, werden mit Recht zur Basis der leitenden psychotherapeutischen Methoden und so, wir können in der psychoanalytischen Therapie des körperlichen Geschehens ruhig auf sie stützen.

Nur durch die Fallvorstellungen wird es inhaltlich konzeptualisierbar und befolgbar, dass die Körperpsychotherapeuten die zum körperlichen Geschehen, zu den körperlichen Erlebnissen verbundbare Vorstellungen als Ausgangspunkt der therapeutischen Intervention betrachten. So wird es für uns auch annehmbar, dass die Basis der analytischen Körperpsychotherapien die Einfügung in das aktuellen Leben der von der frühesten Lebensperioden beginnend „in den Körper eingeschriebenen Vergangenheit“, die Aufschliessung der körperlichen Unbewussten – inbegriffen die Zugaenglichmachung der Erfahrungsniederschlaege der Gefühlen und Gedanken der vorsprachlichen (praeverbalen) Entwicklungsphasen – bilden.

Das Buch systematisiert grundsaetzlich in Einheit die praktischen und theoretischen Erfahrungen der analytischen Körperpsychotherapien solcherweise, dass das gut strukturierte Wissensmaterial und die sorglich ausgewaehlten Sachabschreibungen durch das emotionelle Miterleben der therapeutischen Situationen und Gaenge uns sehr wichtige Erfahrungen und Interventionsmöglichkeiten vermitteln. Im Buch findet man wichtige Themenkreise, wie die Behandlung der grundlegenden und neuesten psychoanalytischen Theorien, die Vorstellung gewisser Lebensgeschehens (z.B. Traumatisierung wie erstarrendes Lebensgeschehen), die Erscheinung der Körpertherapie in der analytischer Gruppentherapie, ihre spezielle Verwendbarkeit in der Praxis und nicht zuletzt die Bildungsmöglichkeiten der analytischen Fachtaetigkeit. Der aufmerksame Leser des Buches wird nicht zum schamhaften Outsider, sondern behaltend sein Interesse die therapeutische Vorgaenge kennenzulernen, öffnet sich mit Freude zum Empfang und waehrend dessen verstaerkt sich um seine eigene Erfahrungen und therapeutische Methodologien bzw. Vorgehen zu erweitern. Wenn der analytischen Körperpsychotherapie schon ein gut fundiertes Zukunftsbild zur Verfügung steht und sie kann sich in ihrer eigener Rhythmik weiterentwickeln, dann sind die beiden Herausgeber, P. Geissler und G. Heissterkamp mit Begabung und Glück an der Integration der Psychoanalyse und der Körperpsychotherapie unentwegt taetig.

Neuigkeit: fünf Sterne, weil Ich dieses Opus Magnum in seiner Aktualitaet und Anschauungsweise – gleichermaessig in internationalen und domestischen Verhaeltnissen –
für Zeitgemaess halte;
Lesbarkeit: vier Sterne, weil wie ein Lehrbuch ist es ein geniessbarer Stoff, aber wegen seiner kreativen Sprache verlangt die tiefere Studierung manchmal besondere Anstrengungen; Aufbrauchbarkeit: fünf Sterne, weil Ich glaube, dass es (nicht nur) auf Analytiker und Kliniker mit besonderer Anregung wirkt.

Fehér Pálma Virág