Jenseits von Sprache und Denken Implizite Dimensionen im psychotherapeutischen Geschehen.

Peter Geissler, André Sassenfeld (Hg.): Jenseits von Sprache und Denken Implizite Dimensionen im psychotherapeutischen Geschehen. Psychosozial Verlag
Gießen 2013. ISBN 978-3-8379-2233-2

Der Hauptautor Peter Geissler kommt ursprünglich als Vertreter der Bioenergetischen Analyse zur Psychoanalyse und ist einer der führenden und sehr aktiven Persönlichkeiten der Therapeuten im deutschsprachigen Raum. Er versucht mit seinen Mitautoren, Michael B. Buchholz, André Sassenfeld, Jörg Clauer, Thomas Stephenson, Maria Steiner Fahrni und Sebastian Leikert  mit Beständigkeit die implizite Dimensionen im psychotherapeutischen Geschehen zu erleuchtern. Man vermutet es schon lange, dass es jenseits des explizit sprachlich Zugänglichen etwas mehr gibt. Das vorliegende Buch dient mehr als Wegweiser das uns durch wichtige Erfahrungen zum impliziten Beziehungswissen näher bringt. Unser Körper teilt allerdings vieles mit und erinnert sich an vieles. Der Körper, wie ein hochempfindliches Empfangsmittel, benutzt seine Haut und seine tieferen Gewebeschichten, auf dem alles aufgezeichnet wird, was ihm geschieht. Als Diagnostiker, können wir diese Gravuren wohl lesen, in dem alles Gewonnene und Verlorene gespeichert werden. Der Körper kann, wie ein sensorisch gut ausgestatteter Vehikel betrachtet werden, indem man sich mit dem angelegten fortbewegt. 

Die Autoren versuchen sich dem Fokuspunkt Impliziten aus verschiedenen Ausbildungsfelden zu nähern. Michael B. Buchholz befasst sich mit dem Entwickelte Wissen bei den Therapeuten und geht tief unter die Haut, warum manche Therapeuten den Worten wenig trauen und sich lieber dem Körper zuwenden. Wenn es gar nicht um entweder-oder, sprachlich-nichtsprachlich geht, brauchen wir wirklich zwischen den Zeilen und Zellen des geschriebenen Wortes mehr spürbar zu machen? Vielleicht den Ausdruck des Körpers zur Mitteilung nutzen, um das Unausgedrükte zu verkörperlichen, wofür der Patient oft keine Worte findet.
Beim Sassenfeld findet man eine sorgfältige Auseinandersetzung mit dem Begriff der impliziten Domäne, wobei er den Begriff in seinen kontextuellen Zusammenhang erklärt.Wie es schon vom Sassenfeld erwähnt wurde, stammt der Begriff des impliziten Wissens von dem ungarischen Philosophen und Naturwissenschaftler Mihály Polányi, der vom „tacit knowing“ ausgeht und uns deutlich erklärt, dass das Interesse nicht primär dem Wissen, sondern einem Können gilt. Im Weiteren nimmt Sassenfeld die Definitionen des Impliziten in Gedächtnisforschung und in Neurowissenschaften, sowie in der Bindungstheorie und Säuglingsforschung und auch in der Psychoanalyse und in der klinischen Psychologie unter die Lupe. Diesbezüglich weist er daraufhin, dass Veränderungen im psychotherapeutischen Prozess gründen auf Veränderungen in dem bewussten, deklarativen und auf dem prozeduralen, impliziten Beziehung.
Jörg Clauer beschreibt Resonanz in der therapeutischen Beziehung als mitschwingende körperliche Präsenz zentraler Bedeutung und erinnert uns daran, dass ein Beziehungsangebot immer eine körperliche Botschaft beinhaltet. Als Basis impliziten Wissens  wird das Phänomen Embodiment auch aus neurobiologischen Betrachtungen untersucht.
Thomas Stephenson von adlerischen Ausbildung betrachtet das Thema als sokratische Inversion und hebt aus, dass paradoxerweise die Unsicherheit im Sinne der Unvollständigkeit unseres Wissens durch den Versuch der Vervollständigung stetig erweitert (S.179).

Gedankenlesen ist ein Können, was bei  Interaktionen eine zentrale Rolle spielt, eine Fähigkeit, was immer mehr mit Körperlesen zu tun hat. Peter Geißler macht uns durch die langsame Therapie aufmerksam, dass strukturelle Veränderungsprozesse brauchen immer ihre Zeit, und das lehrt uns auch die Evolution.Wir wissen auch, dass die klassische und die Psychoanalyse von heute haben auf den Zeitfaktor besonders geachtet. Langsame Therapie kann uns zu verschiedenen Ausdrucksformen lebendiger Lebensprozesse einladen und „die wichtigsten Botschaften ereignen sich dabei in der impliziten Domäne, sie entfalten eine stärkere Wirkung, als Worte es jemals könnten“ (S.361,362). In seiner Formulierung öffnet sich die neuere Psychoanalyse vorsichtig dem Körperlichen gegenüber, was durch Veröffentlichungen um den Begriff Embodiment gut erkennbar ist. Er bringt uns das Faktum näher, dass das Implizite Wissen mehr und mehr in den Brennpunkt der Psychoanalyse zu geraten scheint.
Ich halte das Thema des Buches für aktuell und wissenschaftlich zeitgemäß gerade heute, wo Psychoanalyse wieder als forschungsfördernd wirkt, wäre es leichter die analytische Körperpsychotherapie zur Psychoanalyse noch näher zu bringen, wie es die  Autoren auch tun. Die praktischen Erfahrungen zeigen sich meist darin, dass immer mehr Psychotherapeuten die der analytischen Körperpsychotherapie enteignen und viele in Ihrer Methodologie die feine Harmonisierung von Körper, Geist und Gefühlen verwenden.
Das Buch stellt eine zentrale Frage des impliziten Wissens  in Sicht, die sich mit dem Begriff der „Embodiment“ nachhaltig beschäftigt, und systematisiert grundsätzlich die praktischen und theoretischen Erfahrungen des impliziten Beziehungswissens in eine Einheit, dass das gut strukturierte Wissensmaterial uns sehr wichtige Erfahrungen und Möglichkeiten aus therapeutischen Sicht vermittelt.
Der aufmerksame Leser kann sein wissenschaftliches Interesse an das verkörperte  Beziehungsdimension unterschiedlicher Zugängen und das Kennenlernen der therapeutischen Vorgänge im Zusammenhang der wechselseitigen Anpassung und der Resonanzfähigkeit gleichzeitig behalten und sich mit Freude dem Empfang dieser öffnen und während dessen verstärkt seine eigenen Erfahrungen und therapeutischen Vorgehen erweitern.